Zukunft und Zeitenwende
Aktuelle Herausforderungen, Zukunftsprojekte und der erste Einblick in die Produktion des neuen ENFORCER-Lenkflugkörpers – Highlights vom Pressetag von MBDA Deutschland
Spätestens seit dem Februar 2022 ist die Notwendigkeit einer gut ausgerüsteten Bundeswehr offensichtlich. Wie kann die Zeitenwende erfolgreich sein? Welche Bedeutung kommt der deutschen und der europäischen Rüstungsindustrie dabei zu? Und welchen Beitrag kann das als führendes nationales Systemhaus für Luftverteidigung und Lenkflugkörper leisten?
Antworten auf diese und weitere Fragen der Journalisten gaben MBDA Experten auf einem Pressetag. In einem Mix aus Fachvorträgen und anschaulichen Präsentationen einzelner Systeme spannten die Referenten einen weiten Bogen von der Future of Warfare bis hin zur aktuellen Bedrohungslage und den daraus resultierenden Herausforderungen.
Die „Future of Warfare“ erfordert, heute zu handeln
Gleich zu Beginn richtete Dr. Dirk Zimper, Bereichsleiter Future Systems, Mitglied der Geschäftsleitung MBDA Deutschland, den Blick auf die Zukunft: „Waffensysteme werden schneller, intelligenter und vernetzter. Länder wie China, Russland und die USA legen hier vor, insbesondere auch im elektromagnetischen Spektrum. Deshalb entwickeln wir auch mit Eigenmitteln ein entsprechendes Baukastensystem mit Modulen unterschiedlicher Fähigkeiten, aber gleicher Technologiebasis. Es gilt, diese militärischen Fähigkeiten so schnell wie möglich zu erschließen“, so Zimper, „und zwar mit Blick auf die Bedrohungs-, aber auch auf die Wirkungsseite.“
MBDA leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Das Unternehmen treibt in den Entwicklungszentren in Manching und Schrobenhausen im Auftrag der Bundeswehr neue nationale Schlüsseltechnologien für Remote Carrier voran. Zudem entwickelt MBDA im Rahmen der nationalen und tri-nationalen NGWS/FCAS-Programme neuartige Algorithmen und auf Auftragstaktik basierende Technologien zur Missionsplanung, Überwachung und Führung.
Zeitenwende: Geschwindigkeit und Marktverfügbarkeit im Fokus
Nach diesem Blick in die gar nicht mehr so ferne Zukunft zeichnete Guido Brendler, Bereichsleiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung und Mitglied der Geschäftsleitung MBDA Deutschland ein klares Bild der aktuellen Situation: „Die Bedrohungslage hat sich verbreitert – und die Industrie steht vor der Herausforderung, sich darauf einzustellen. Es gilt, die materiellen Bedarfe der Streitkräfte deutlich schneller, effektiver und unbürokratischer als bisher zu decken.“ Zugleich gilt es, zentrale Projekte mit langfristiger Bedeutung nicht aus den Augen zu verlieren. Daher haben die ministeriell festgelegten Entwicklungsprojekte eine hohe Bedeutung, ebenso wie die konsequente Bearbeitung von Zukunftsthemen.“
Zur Umsetzung der Zeitenwende hat Brendler einen klaren Standpunkt: „Die Politik hat hier eine klare Botschaft formuliert – und wir haben diese Botschaft verstanden und entsprechend gehandelt, obwohl in weiten Teilen noch keine große Planungssicherheit besteht.“
Vor diesem Hintergrund gab MBDA Deutschland zum Pressetag bekannt auch eine erhebliche Steigerung der Lenkflugkörperproduktion. Darüber hinaus leistet das Unternehmen einen entscheidenden Beitrag zur Munitionsbevorratung durch den Aufbau sogenannter Missile Hubs, wie Raytheon und MBDA sie für den Patriot Lenkflugkörper PAC-2 GEM-T vorantreiben. Auch für die Lenkflugkörper Meteor, Brimstone und Stinger arbeitet MBDA an einer entsprechenden Umsetzung.
Leistungsfähige Tochterunternehmen: TDW und Bayern-Chemie
Nach diesem Einblick in die Produktion standen die beiden Tochterunternehmen von MBDA im Fokus. Thomas Malenke, Geschäftsführer der TDW GmbH, erläuterte die Wirkungsweise der Gefechtsköpfe der Systeme ENFORCER und Brimstone. Zugleich kündigte er an, dass die TDW eine Neuauflage der Panzerabwehr-Richtmine PARM 22 anstrebe. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage bietet dieses System – auch wenn es bereits in den 80er Jahren entwickelt wurde – eine schnelle und pragmatische Lösung, um die Anforderungen der Bundeswehr und verschiedener Verbündeter zu erfüllen.“ Zugleich schilderte Malenke eindrucksvoll die aktuelle Liefersituation für Sprengstoffe und richtete dabei einen klaren Appell an die Bundesregierung: „Die Lieferzeiten haben sich mehr als verdoppelt und es stehen nur wenige Anbieter zur Verfügung. Daher wäre der Aufbau einer nationalen Sprengstofffabrik aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt, um die Situation zu verbessern.“
Dr. Wolfgang Rieck, Geschäftsführer der Bayern-Chemie GmbH, skizzierte zum Abschluss die Fähigkeiten des Kompetenzzentrums für Flugkörperantriebe der MBDA. „Die Bayern-Chemie ist Technologie- und Marktführer auf dem Gebiet der Feststoff-Staustrahlantriebe, bekannt auch als Ramjet. Dabei haben wir alle Kompetenzen am Standort Aschau gebündelt: Forschung und Technologie, Spezifikation, Konzeption, Entwicklung, Test, Produktion, Qualifikation und After Sales Service – all das können wir aus einer Hand bieten. Insbesondere unsere Prüf- und Testmöglichkeiten von energetischen Antrieben sind wohl einzigartig.“
Seit 2013 hat die Bayern-Chemie bereits mehr als 2.000 Motoren für den Luft-Luft-Flugkörper Meteor gefertigt, der an verschiedenen Plattformen europäischer Partner zum Einsatz kommt. Aktuell wird an der Integration in die F35-Plattform gearbeitet. Aber auch Notauftauchsysteme für U-Boote sowie Antriebssysteme für die zivile Raumfahrt gehören zum Angebotsspektrum. Dass künftig auch die Feststoffraketenmotore des ENFORCER aus Aschau kommen, ist da kaum verwunderlich. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage plant die Bayern-Chemie weitere Investitionen am Standort, unter anderem für eine mögliche Lizenzfertigung des Motors für die Patriot GEM-T, der bis Ende der 90er Jahre bereits erfolgreich in Aschau gefertigt wurde.
Mit einem Blick auf die etwas entferntere Zukunft schloss Dr. Rieck: „Hyperschallantriebe stellen uns alle derzeit vor neue Bedrohungen. Aktuelle Meteor-Systeme erreichen schon heute Geschwindigkeiten über Mach 4 – und mit unseren Fähigkeiten und Technologien können wir einen wichtigen Beitrag leisten, bestehenden Bedrohungen wirksam zu entgegnen.“
Mit diesem Schlusspunkt endete der Pressetag. In den Vorträgen und Demonstrationen wurde für die anwesenden Pressevertreter vor allem auch die Motivation spürbar, mit der MBDA in diesen herausfordernden Zeiten antritt: Das Unternehmen ist entschlossen, vorhandene Kompetenzen zu bündeln, um neue Entwicklungen dynamisch voranzutreiben und so möglichst schnell einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Zeitenwende zu leisten. Die Weichen hierfür, so wurde auf dem Pressetag deutlich, hat MBDA bereits gestellt.
Neue Bewaffnung für Infanterie und Spezialkräfte
Mit dem Stichwort ENFORCER begann ein weiterer Schwerpunkt des Pressetages. MBDA-Experte Jochen Dehner, Leiter Vertrieb und Marketing Heer, richtete den Blick zunächst auf die Entstehungsgeschichte und die aktuellen Einsatzbereiche.
Der ENFORCER entstammt der Initiative „Leichtes Wirkmittel 1800+“, die auf der Grundlage von Einsatzerfahrungen der Bundeswehr und verbündeter Nationen gestartet wurde. Er wurde von MBDA konzipiert, um abgesessenen Kräften eine leichte Bewaffnung zu liefern. Mit der neuen Bewaffnung können die Soldatinnen und Soldaten schnell und präzise Ziele hinter Deckung und sich bewegende Ziele in einer Entfernung bis zu 2.000 Metern bekämpfen. Die Lieferung an die Bundeswehr startet in 2024.
Mit dem ENFORCER X plant MBDA inzwischen auch eine Panzerabwehrvariante des Lenkflugkörpers, für die ein Gefechtskopf mit einer Tandem-Hohlladung vorgesehen ist. Damit können dann auch stark gepanzerte sowie mit Reaktivschutz der dritten Generation versehene Gefechtsfahrzeuge auf Distanzen von bis zu 2.000 Meter– selbst in der Bewegung – bekämpft werden. Da bis auf den Gefechtskopf alle weiteren Baugruppen und Bedienelemente gleich sind, würde das System hohe Synergien und Vorteile für Ausbildung und Logistik mit dem Leichten Wirkmittel 1800+ aufweisen.
Breites Portfolio im Bereich des Luftangriffs und der Luftverteidigung
Für die Luftwaffe machten Sven Wundenberg, Leiter Bewaffnung fliegende Plattformen, und Andreas Heinemann, Leiter Bodengebundene Luftverteidigung, die Beitragsfähigkeit von MBDA deutlich.
Im Bereich Bewaffnung fliegende Plattformen hat MBDA ein umfassendes Angebot. Meteor gilt als leistungsfähigster Luft-Luft-Lenkflugkörper seiner Klasse, der bei Trefferquote und No-Escape Zone Maßstäbe setzt. Brimstone kann als einsatzerprobte Luft-Boden-Waffe ein breites Spektrum an Zieltypen mit geringsten Kollateralschäden bekämpfen. SPEAR 3 schließlich ist die einzige europäische, netzwerkfähige und luftgestützte Allwetterwaffe mit Stand-off-Fähigkeit gegen Bodenziele, die als SPEAR-EW, d.h. auch in der elektronischen Kampfführung wirksam eingesetzt werden kann. Ein umfassendes Paket also, das nahezu allen Anforderungen gerecht wird.
Im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung ist MBDA als einziges Unternehmen, auch mit Blick auf die European Sky Shield Initiative (ESSI) in allen Höhen- und Reichweitenbändern beitragsfähig. Beispiele hierfür sind unter anderem die technisch-logistische Betreuung, Wartung sowie Weiterentwicklung der deutschen Patriot-Systeme oder die Entwicklung von Laserwaffensystemen und Hyperschalltechnologien. Im Nah- und Nächstbereich ist die von MBDA angebotene Effektorlösung einer „Small Anti Drone Missile“ ein kostengünstiger, hochmoderner Lenkflugkörper, der für den Einsatz gegen Drohnen spezialisiert ist. Auf Basis des ENFORCER (LWM 1800+) bietet er eine effektive Wirkung gegen kleine und mittlere Drohnen bei einer sehr hohen Trefferwahrscheinlichkeit und einer entsprechend großen Abhalteentfernung.