Die Entwicklungsgeschichte deutscher Luftverteidigungs- und Lenkflugkörpersysteme

Die Geschichte der deutschen Lenkflugkörperindustrie nach dem zweiten Weltkrieg beginnt nach Inkrafttreten der Pariser Verträge vom Oktober 1954, nach welchem es der Bundesrepublik Deutschland wieder erlaubt war, eine Luftfahrtindustrie aufzubauen. So begann 1955 das Ingenieurbüro Bölkow die Entwicklung der ersten deutschen Lenkflugkörpersysteme der Nachkriegszeit. Erfolgreiche Produkte der MBDA Deutschland GmbH, die aus den Vorgängerunternehmen MBB, DASA bzw. LFK-Lenkflugkörpersysteme GmbH hervorgegangen ist, sind Beispiele für die Entwicklungsgeschichte der Luftverteidigung und Lenkflugkörper in Deutschland.



Panzerabwehrsysteme

Volkswirtschaftliche, militärische und politische Gründe sprachen in den fünfziger Jahren für die Entwicklung von Panzerabwehrsystemen, die man als NATO-Mitglied den starken Panzerarmeen des potenziellen Gegners (Wahrschauer Pakt) entgegen setzen konnte. Die hauptsächlich technischen Anforderungen an ein geeignetes Waffensystem waren möglichst große Reichweiten und hohe Treffsicherheit. Da die damalige Wirtschaftslage die Entwicklung maßgeblich beeinflusste, sollte das Flugkörpersystem durch größtmögliche Einfachheit überzeugen. So wurde COBRA, die erste Generation von Panzerabwehrlenkwaffen und ein Vorläufersystem von MILAN und HOT, den erfolgreichen Panzerabwehrsystemen der MBDA, entwickelt.

Die Entwicklung der zweiten Generation von Panzerabwehrsystemen Anfang der sechziger Jahre auf Basis deutsch-französischer Regierungsverträge war die Grundlage für weitere Rüstungskooperation. Die neue Generation autonomer Lenkflugkörper MILAN und HOT wurde ab 1973 bzw. ab 1977 in Serie gefertigt und als Standardwaffen in die deutschen und französischen Streitkräfte eingeführt.

Das System MILAN ist ein tragbares, drahtgelenktes, tag-/nachtsichtfähiges Lenkflugkörpersystem mittlerer Reichweite zur Bodenzielbekämpfung, welches auch heute noch im Einsatz ist. Dieses gegen natürliche und künstliche Störer resistente Waffensystem eignet sich besonders für den Einsatz bei der Infanterie und bei Spezialkräften. Derzeit wird unter dem Namen MILAN ADT/ER an der Weiterentwicklung des erfolgreichen Systems gearbeitet.

Das Panzerabwehrsystem HOT ist ein tag-/nachtsichtfähiges Lenkflugkörpersystem langer Reichweite, welches ebenfalls zur Bodenzielbekämpfung eingesetzt wird und dabei gleichfalls resistent gegen natürliche oder künstliche Störer ist. Der Flugkörper HOT kommt auch als Panzerabwehrlenkwaffe des neuen deutschen Unterstützungshubschraubers Tiger zum Einsatz.

Die neueste Entwicklung auf dem Gebiet der Panzerabwehr- bzw. der heutigen Mehrzweckrollensysteme ist das Flugkörpersystem PARS 3 LR. PARS 3 LR ist als Hauptbewaffnung für den Unterstützungshubschrauber (UH) Tiger des deutschen Heeres vorgesehen und ist für die Bekämpfung von stationären und mobilen Zielen mit modernster Panzerung, von Stellungen, Bunkern und anderen Hochwertzielen ausgerichtet. Als „fire-and-forget“-System erhöht PARS 3 LR die Überlebensfähigkeit des Tiger wesentlich.

Luftverteidigung und Flugabwehr

Die Entwicklung von Flugkörpersystemen zur Flugabwehr vom Boden begann in der Bundesrepublik einige Jahre später als bei den Panzerabwehrsystemen. Ende der fünfziger Jahre entstand in der Bundesrepublik ein Bedarf an Abwehrsystemen gegen Tiefflieger. In deutsch-französischer Zusammenarbeit wurden somit das Klarwetter-Tieffliegerabwehrsystem ROLAND 1 und das Allwettersystem ROLAND 2 entwickelt. Seit 1978 sind beide Systeme in Deutschland und Frankreich eingeführt.

ROLAND wurde weltweit eingeführt zur Abwehr gegen Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen und Marschflugkörper in extrem niedrigen und mittleren Höhen eingesetzt.

Aufgrund sich verändernder Bedrohungslagen und Gefechtssituationen, speziell der Bedrohung aus der Luft durch moderne taktisch-ballistische Raketen, Flugzeuge, Kampfhubschrauber und unbemannte Flugkörper, hat die Entwicklung effektiver Luftverteidigungssysteme große Bedeutung.



Flugzeugbewaffnung

Im Bereich der Flugzeugbewaffnung entstand bald die Forderung nach Abstandssystemen, die es dem Trägerflugzeug ermöglichen sollten, außerhalb der Reichweite gegnerischer Abwehrwaffen zu bleiben. So begann die Bölkow GmbH 1965 zunächst unter französischer Beteiligung mit der Entwicklung des Seezielflugkörpers Kormoran, der 1979 bei der deutschen Marine und später bei der italienischen Marine eingeführt wurde.

Wegen der laufenden Verbesserungen der Flugabwehr wurden auch im Bereich der Luft-Boden-Flugkörper präzise Abstandswaffen zur Bekämpfung hochwertiger militärischer Ziele dringend erforderlich. Auf der Basis früherer Entwicklungen im Bereich der Abstandsbewaffnungen wurde der moderne Präzisionsabstandslenkflugkörper Taurus KEPD 350 entwickelt. Taurus KEPD 350 ist ein Luft-Boden-Flugkörper mit einer operationellen Reichweite von mehr als 350 km für die Bekämpfung hochwertiger stationärer Ziele wie z.B. Kommandobunker und Brücken. Taurus KEPD 350 ist bei der deutschen und spanischen Luftwaffe im Einsatz.

All diese Entwicklungen sind Beispiele für die jahrzehntlangen Erfahrungen, die MBDA Deutschland und ihre Vorgängerunternehmen im Bereich der Luftverteidigungs- und Lenkflugkörpersysteme gesammelt haben.