70 Jahre NATO – Zeit für den Ruhestand?
70 Jahre Frieden sprechen für sich: Das erfolgreichste Militärbündnis der Geschichte würdigte kürzlich auf dem NATO-Gipfel in London sein Jubiläum. Trotz kritischer Stimmen und Spannungen, die den Gipfel begleiteten, bestätigten die Staatslenker der 29 Mitgliedsstaaten dort die Bedeutung des transatlantischen Bündnisses. Artikel 5, oder kurz „einer für alle, alle für einen“, bleibt die Grundlage für Stabilität und Frieden. Doch wie sieht das Bündnis in 10 oder 20 Jahren aus? Welche Rolle wird Europa dann zukünftig einnehmen? Diese und ähnliche Fragen erörterten vier Experten aus unterschiedlichen Metiers am 17. Dezember in Schrobenhausen. MBDA hatte unter dem Titel „70 Jahre NATO – Zeit für den Ruhestand?“ zu einer Podiumsdiskussion geladen.
General a.D. Hans-Lothar Domröse, der von 2012 bis 2016 Oberbefehlshaber des Allied Joint Force Command (JFC) Brunssum war, hob vor allem die neue Bedrohungslage für die NATO hervor: „Seit circa 10 Jahren haben die Bedrohungen in ihrer Vielfalt und Schnelligkeit deutlich zugenommen. Zudem hat sich Russland zum Power Broker im Nahen Osten entwickelt. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die nur im Bündnis bewältigt werden können. Die NATO ist mit ihrem Planungsprozess oder beispielsweise der Readiness Initiative der Taktgeber, um möglichst schnell die notwendige Einsatzfähigkeit herzustellen. Dabei nimmt sie Europa stärker in die Pflicht.“ Die NATO Readiness Initiative sehe vor, dass die europäischen Mitgliedstaaten im Bündnisfall innerhalb von 30 Tagen 30 Bataillone, 30 Luftgeschwader und 30 Kampfschiffe stellen. Bis dahin sei aber noch ein langer Weg, insbesondere Deutschland müsse mehr für die Ausrüstung und Einsatzfähigkeit seiner Streitkräfte investieren.
Dr. Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik ging unter anderem auf die zukünftige Rollenverteilung zwischen den USA und Europa ein. „Die NATO ist momentan unsere Lebensversicherung. Jedoch verändern sich die Rahmenbedingungen: die transatlantischen Beziehungen, also die gemeinsame Basis, wird fragil, und der politisch und militärisch wichtigste Alliierte USA sieht seine sicherheitspolitischen Prioritäten zunehmend in Asien. Auch in Europa gestaltet sich der Zusammenhalt unter den Staaten schwieriger“, erläuterte Dr. Major und appellierte: „Wir müssen uns daher heute die Frage stellen, wie wir langfristig europäische Verteidigung gewährleisten wollen. Ein größeres europäisches Engagement würde nicht nur das Bündnis stärken und die Europäer zu einem attraktiveren Partner machen, sondern auch die Handlungsfähigkeit Europas stärken. Die Kernfrage ist: Wie können wir in Zukunft das, was wir in Europa aufgebaut haben, auch verteidigen?“
Sabine Siebold, Journalistin bei Reuters, sprach als Pressevertreterin:„Mit der Krim-Krise und dem Konflikt in der Ukraine hat sich die Wahrnehmung der NATO in der Öffentlichkeit deutlich verändert, sicherheitspolitische Fragestellungen rücken näher an die Leute. Dennoch gibt es in Europa unterschiedliche Sichtweisen auf die Bedrohungslage. Frankreich fühlt sich eher durch Terrorismus aus dem Süden bedroht, die Osteuropäer vor allem durch Russland.“ Diese unterschiedliche Wahrnehmung der Bedrohungslage würde den Konsens unter den NATO Staaten erschweren. Dennoch wünsche sie sich, dass der Zusammenhalt der Bündnispartner wieder deutlicher werde.
Peter Heilmeier, der als MBDA Director Sales and Business Development Germany eine Industrieperspektive vertrat,verwies darauf, dass der politische Wille für ein stärkeres Engagement noch zu langsam in konkrete Fähigkeiten umgesetzt werde. Die neuen Europäischen Initiativen wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit seien jedoch positive Entwicklungen, die in die richtige Richtung weisen. „Die NATO ist ein Garant für Sicherheit und Frieden. Um diese Rolle auch in Zukunft auszufüllen, muss sie Antworten auf neue Bedrohungen wie die Aufkündigung des INF-Vertrages finden. Deutschland hat hier die Chance, sich im NATO Framework Concept als Anlehnnation für kleinere Mitgliedstaaten im Bereich Luftverteidigung einzubringen und so einen wichtigen Beitrag für das Bündnis zu leisten“, so Heilmeier.
Ferner waren sich alle Redner einig, dass die politische Glaubwürdigkeit der NATO mit dem Zusammenhalt stehe und falle.
Die Podiumsdiskussion war Teil der Veranstaltungsreihe MBDA im Gespräch, die Mitarbeitern sicherheitspolitische Themen näher bringt und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen ermöglicht. Circa 80 Mitarbeiter verfolgten die Podiumsdiskussion am 17. Dezember und brachten sich mit Fragen und Ansichten in die Gespräche ein. Erstmals nahmen auch externe Gäste und Pressevertreter an der Veranstaltung teil.